Eva-Maria Götze: Ein Postulat fürs Überleben der Anderen

In der Schwetzinger Zeitung vom 10.3.2018 ist folgender Leserbrief erschienen:

Was bedeutet eigentlich schützenswert auf der Rheininsel? Ein Natura-2000-Schutzgebiet. Ist es nur die wilde Waldrebe und das Veilchen viola elongata? Kann und soll man nur schützen, was man mit bloßem Auge sieht oder haben wir auch den Auftrag, den Raum zu schützen, in dem Dinge und Wesen sich wieder ansiedeln könnten, die schon vermeintlich verloren gegangen sind? Wo Leben also in jeder Form leben kann und darf ?

Fortschrittlich denken im Sinne von Artenschutz verlangt genau dies von uns heutigen Menschen, die wir auf dieser Welt täglich Entscheidungen treffen, was überleben darf und was nicht. Man durfte gespannt sein, nach welchem Konzept das Kreisforstamt den Schutz dieser Rheininselregion umsetzt und Artenschutz betreibt. Am Wildschweingehege angekommen wurde der Gruppe von interessierten Bürger durch Dr. Münch sofort gesagt, dass es hier um die Nutzung zur Naherholung geht und um einen Wirtschaftswald und nebenbei sollen auch Flora und Fauna möglichst überleben.

Er betonte, das sei ein Spagat – und wie weit dieser Spagat überhaupt gelingen kann, liegt offensichtlich im Auge des Betrachters. Die zu betreuenden Revierflächen für einen Förster sind in den letzten Jahren stark angestiegen und nur ein Diplom-Biologe steht vom Amt für riesige Gebiete zur Verfügung, um nach dem Artenschutz zu entscheiden, ob beispielsweise ein Baum gefällt werden darf. Wird da an falscher Stelle gespart?

Ketscher Bürger, die ihre Insel oftmals täglich aufsuchen, haben über die Jahre Beobachtungen gemacht, die für sie im klaren Widerspruch zu der Vorstellung eines Schutzgebietes Natura-2000 stehen. Dies führt offensichtlich zu dem Spagat und den unterschiedlichen Sichtweisen. Ein Bürger sieht zum Beispiel den Rotmilan in seinem Nest. Die Vertreter der Ämter vielleicht nicht und schon wird ausgerechnet dieser Baum gefällt. Der Rotmilan kommt vom Süden zurück: sein Baum ist weg – warum? Ganz einfach – weil er erntereif war. Pech gehabt! Soll sich einen anderen Baum suchen. Er will aber den alten – denn sie bleiben ihrem Horst treu. Es gibt ihm offensichtlich die Sicherheit, dass dies ein guter Platz war. Dass dieser Baum fehlt, stellt schon eine Irritation dar, weil er ja einen sicheren Brutplatz haben will – so wie wir auch in unsere Wohnung zurück wollen nach einer Reise. Niemand wollte was Schlechtes trotzdem hat der Rotmilan Pech – und ganz viele andere Lebewesen auch.

Wer überprüft und schützt Tiere, die im gesamten Jahresablauf, um, auf, unter und von den Bäumen und auf der Insel leben – so etwa die Haselmaus? Es geht ja nicht nur um Vogelschutz. Die Frage ist: Natura- 2000-Schutzgebiet – was heißt das für unsere Insel? Natura-2000 ist die höchste Einstufung der Schutzwürdigkeit: Wie gehen wir damit auf der Insel um? Muss ein Gebiet wie die Rheininsel, das so sensibel ist, was den Artenschutz betrifft, unbedingt zu solch hohem Prozentsatz als Produktionswald Gelder erwirtschaften? 30 Prozent sind nur als Bannwald ausgewiesen. Das heißt: da darf nach geltendem Recht nichts verändert werden – auch keine Bäume gefällt. Tiere bleiben ungestört.

Der Wald wurde aber in den letzten Jahren vom Naturwald zu einem Leistungswald entwickelt. Selbst im Bannwald wurden über 100 Jahre alte Eichen gerodet. Eichen, die in diesem Alter Bruthöhlen für sehr selten gewordene Vögel und andere Waldbewohner bieten. Vor einiger Zeit schon wurden gut 50 Schwarzpappeln entlang des Sees gefällt, obwohl diese eindeutig mit ihren etwa 50 Jahre alten Stämmen und einem Durchmesser bis zu 130 Zentimeter Überwinterungsquartiere für Fledermaus-Kolonien waren und dort unter anderem der Schwarzspecht brütete. Wer entscheidet, dass dann alle 50 Bäume wegmüssen, ohne Rücksicht auf Verluste im Artenschutz? Wer verantwortet das?

Der Spagat bleibt so lange bestehen, wie die Bevölkerung das Empfinden hat, dass ein Ungleichgewicht zwischen Nutzung und Artenschutz besteht. Das liegt auch wiederum an der Tatsache, dass fast jeder Versuch von Ketscher Bürgern, artenschutzrechtliche Bedenken anzumelden, nicht gehört und als übertriebene Laienschilderung abgetan werden. Können wir es uns etwa als reiche Gesellschaft nicht leisten, eine Eiche auch mal als Einzelbaum wachsen zu lassen, wo sie ihre ganze Pracht entfalten kann?

Muss der Wald sogar in einem Schutzgebiet immer als Plantagenholz wachsen, bloß weil der Baum dann mehr Standplatz im Wald verbrauchen würde – und weniger andere Bäume darum angebaut werden könnten. Was dann weniger Umsatz mit dem Holzhandel bedeutet. Ginge es nicht auch anders?

Die Antwort ist definitiv: Ja! Nachhaltige Waldpflege wird schon an vielen Orten in unserem Land mit Erfolg praktiziert. Vordenker, auch in den zuständigen Ämtern, sind gefragt, die den Mut und das Fachwissen haben, um das Leben der Anderen im Wald und in den Rheinauen zu schützen und zu bewahren.

Aufmerksame Bürger sind gefragt, die Förster und Naturschutzbehörde mit der Meldung von seltenen Arten von Pflanzen, Waldbewohnern oder Nistplätzen unterstützen und so zum Schutz des Natura-Gebietes beitragen, egal ob man angehört wird oder nicht. Auch wenn nicht jeder Naturfreund ein studierter Biologe ist, sollte seine Aussage nicht gleich verworfen werden und ständig von Fachleuten und Laien gesprochen werden. Ein langjähriger Vogelschutzinteressierter kann sicher einen Rotmilan vom Bussard unterscheiden.

Wer noch größer denkt, der weiß, dass die Natura-2000-Gebiete die letzten Rettungsinseln für viele Zugvogelarten sind. Mit der Umsetzung der Natura-2000-Richtlinien sollte es eigentlich kein Spagat sein, der sich ergibt, sondern gemeinsames Vorgehen im Schutz für die Natur.

Eva-Maria Götze, Ketsch