„Für die Mobilität der Zukunft müssen wir uns neu aufstellen“

In der Schwetzinger Zeitung vom 17.11.2020 ist folgender Beitrag über unseren Ortsverband erschienen.

DIE GRÜNEN SPRECHER NIKOLAUS EBERHARDT WEIST AUF GEFAHRENPUNKTE FÜR RADLER IM ORT HIN / FAHRRAD SOLLTE GRÖSSEREN STELLENWERT ERHALTEN

Ketsch. Das Zeugnis, das der Sprecher der Grünen in Ketsch, Nikolaus Eberhardt, der Gemeinde in Sachen Bemühungen rund um den Ausbau der Infrastruktur für Fahrräder ausstellt, ist mies. Seit fünf Jahren gebe es ein Fahrradwegekonzept. „Passiert ist aber gar nichts.“ Von der Politik werde das Thema nach wie vor „sehr stiefmütterlich angegangen“.

Mit dem Fahrrad in der Enderle-gemeinde unterwegs zu sein, fühle sich denn auch nach wie vor wie in einem Hindernisparcours an. Ja, schlimmer noch, „es ist an vielen Stellen auch gefährlich“. Und so haben die Grünen in Ketsch nun ein Arbeitspapier auf den Weg gebracht, das ziemlich detailliert aufzeigt, was zu geschehen habe, damit Fahrradfahren in und um Ketsch endlich sicherer und bequemer wird.

Ganz vorne steht bei Eberhardt die Überzeugung, dass die Priorisierung des motorisierten Individualverkehrs beendet werden müsse. „Der Platz im öffentlichen Raum ist unfair verteilt.“ Der Pkw werde hier zu Lasten von Fußgängern und Fahrradfahrern klar bevorteilt. Dem gegenüber schlagen die Grünen nun vor, dem Fahrrad einen neuen und vor allem einen etwas größeren Stellenwert einzuräumen. Ein Ansinnen, das kaum querer zur allgemeinen Mobilitätsentwicklung stehen könnte.

Zum ersten Januar 2020 verzeichnete das statistische Bundesamt mit 47,7 Millionen zugelassenen Pkw ein Rekordstand. Im Vergleich zu 2008 mit seinen etwas mehr als 41 Millionen Pkw bedeutet das ein Plus von über 15 Prozent. Die höchste Steigerungsrate, das nur am Rande, erreichten wie zum 1. Januar 2019 die Suv mit einem Plus von fast 20 Prozent. Und es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Pkw in Deutschland im Corona-Jahr 2020 erneut deutlich ansteige, darauf deuten zumindest Zahlen des Kraftfahrbundesamtes bereits hin.

Alternativen attraktiver machen

Es sind Zahlen, die Eberhardt sichtlich zusetzen, aber zugleich die Dringlichkeit des Umsteuerns unterstreichen. Auf lange Sicht, müsse sich die Kommune bewegen und neu aufstellen, wenn sie Mobilität auch in Zukunft gewährleisten wolle. Dabei betonte er, dass es nicht darum gehe, das Auto zu verbieten. „Alles, was wir wollen, ist, dass die Alternativen attraktiver werden.“

Das fängt bei den Abstellmöglichkeiten und der Beschilderung an, führt zu einer durchdachten Wegeführung vor Ort und überregional mit genug Platz für Fahrradfahrer und endet bei Maßnahmen, die der Sicherheit dienen. Bei Letzterem listet das Arbeitspapier allein in Ketsch mindestens elf Gefahrenstellen auf. Nicht mitgezählt ist dabei die Situation in der Schulstraße. Der Weg zur Schule sei hier für Kinder unmöglich. „Die Schulstraße ist so zugeparkt, dass dort kein Kind fahren kann.“ Dabei erinnert Eberhardt daran, dass Kinder bis acht Jahren verpflichtet sind, auf dem Gehweg zu fahren. „Hier ist das aber ausgeschlossen.“

Weitere Gefahrenherde finden sich im Tunnel unter der Autobahn am Ortsrand von Ketsch. „Die Strecke ist häufig befahren, dafür aber zu dunkel und zu eng.“ Riskant seien auch die Querung aus dem Gebiet Fünfvierteläcker über die Mannheimer Straße in Richtung Schule, der unbeleuchtete Radweg zur Realschule und die Kreuzung Mannheimer-, Schwetzinger- und Karlsruher Straße, wo Radfahrer auf der Dossenheimer Straße allzu oft übersehen werden. Besonders kritisch ist in seinen Augen das Teilstück Hockenheimer Straße zwischen Karlsruher Straße und Am Bruchgraben.

Nutzergruppen unterscheiden

Es sei mehr als unverständlich, dass hier nicht wenigstens versucht werde, die Probleme anzugehen. Als ersten Schritt empfiehlt das Arbeitspapier eine Unterscheidung der verschiedenen Nutzergruppen. Eberhardt will differenzieren zwischen Pendlern, Schülern, Freizeitsportlern und dem Senior, der vor Ort mit dem Fahrrad einkauft. Diese hätten verschiedene Bedürfnisse, die man beim Ausbau der Infrastruktur berücksichtigen müsse. Im Endeffekt folgt daraus vor allem mehr Platz, um auch bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten sicheres Fahren gewährleisten zu können.

Im Ort denkt Eberhardt beispielsweise über mehr Einbahnstraßen nach, um auch in beengten Verhältnissen mehr Platz für die Radfahrer schaffen zu können. Klar wisse er, dass das für Empörung sorgen werde. Dabei würde aber vergessen, dass die derzeitige Raumverteilung unfair sei. Keinem Verkehrsträger werde so viel Platz eingeräumt wie dem Auto. Es stehe einer Gesellschaft aber gut an, sämtliche Mobilitätsfaktoren im Blick zu haben und hier für einen Ausgleich zu sorgen.

Darüber hinaus sollten auch Klimawandel und Ressourcenverbrauch nicht vergessen werden. Das durchschnittliche Leergewicht der Autos in Deutschland steigt und betrug Ende 2018 fast 1,5 Tonnen. Nur die US-Amerikaner fahren mit rund 1,6 Tonnen etwas schwerere Autos. Am Ende entstehe ein Paradoxon ähnlich wie beim Tourismus. Je mehr verreisen, desto mehr zerstört der Tourismus das, was er verspricht. Und das gelte auch für das Auto, das als immer größer werdendes Massenphänomen, das Mobilitätsversprechen in Frage stelle. Von 2010 bis 2018 vervierfachte sich die Zahl der Staus in Deutschland, laut statistischem Bundesamt von 185 000 auf 745 000. In Kilometer ausgedrückt heißt das laut ADAC ein Plus von deutlich unter 600 000 Kilometer auf knapp über 1,5 Millionen Kilometer.

Zukunftsorientierte Mobilität, davon ist Eberhardt überzeugt, müsse diverser werden. Heißt für ihn neben mehr öffentlichem Nah- und Fernverkehr vor allem mehr Infrastruktur für das Fahrrad. Ein guter und kostengünstiger Anfang wären Schutzstreifen, die man problemlos mit Farbe und Pinsel auf die Asphaltdecke auftragen könne. Wie auch immer das Projekt mehr und bessere Fahrradwege angegangen wird, für Eberhardt wird es Zeit, dass es angegangen wird.

© Schwetzinger Zeitung, Dienstag, 17.11.2020