„Der Forst macht den Wald kaputt, nicht der Klimawandel“

Rheininsel-Kenner Nick Eberhardt. Bild: Simianer

Problematische Waldbewirtschaftung auf der Rheininsel in Ketsch

Nikolaus Eberhardt kritisiert die Waldbewirtschaftung auf der Rheininsel wegen Bodenverdichtung und Altersstruktur. Er fordert mehr Naturverjüngung und ökologische Bewirtschaftung.

23.5.2023 VON ROLF SIMIANER, erschienen in der Schwetzinger Zeitung

Ketsch. Am Treffpunkt an der Holzbrücke hinüber auf die Rheininsel herrscht an diesem Samstagnachmittag ein reger Verkehr: Große Traktoren mit noch größeren Anhängern transportieren Berge von Brennholz von der Insel zu nahe gelegenen Bauernhöfen. Autos mit kleineren Hängern befördern geringere Mengen für den privaten Heizbedarf. So geht es auch auf den Asphaltwegen im Naturschutzgebiet eng zu, zumal auf den Wegsäumen in losen Abständen aufgestapelte Haufen gefällter Baumstämme lagern. Von Naturidyll ist in diesen Momenten keine Spur.

Doch dieser Eindruck passt zum Anlass des Spazierganges, den Nikolaus Eberhardt auf der Rheininsel unternehmen möchte. Der jung wirkende Endvierziger beschäftigt sich schon lange mit dem Ökosystem der Insel; er hat sogar einen Artenkatalog für dort vorkommende Tiere, Pilze und Pflanzen verfasst („Rheininsel Ketsch-Artenkatalog. Eine Sammlung von Tieren, Pflanzen und Pilzen der Rheininsel Ketsch“, erhältlich für 10 Euro bei Buch und Manufakturwaren in Ketsch).

Die meisten der darin beschriebenen Lebewesen hat er selbst gefunden und fotografiert; alle hat er bestimmt und gemäß der jeweiligen Stellung in der „Roten Liste der gefährdeten Arten“ einsortiert: „Denn nur was man kennt, kann man auch schützen“, so lautet das Credo von Nikolaus Eberhardt.

Bei seinen regelmäßigen Streifzügen fällt ihm immer deutlicher auf, welche Schäden die derzeitige Waldbewirtschaftung verursacht – das zeigt sich an vielen Stellen auf der Rheininsel.

Auf kurzem schnurgeradem Weg geht es zum Forsthaus, dann links ab in Richtung des Südlichen Baggersees. Eberhardt trägt einen hellbraunen Khaki-Anzug, hinten Rucksack und vorne eine große Fotokamera am Band um den Hals. Er ist Sprecher der Ketscher Grünen und Nabu-Mitglied. Von Beruf ist der verheiratete Vater von zwei Kindern Datenanalyst in der Automobilbranche. Und wie kam es zu seinem Engagement für die Rheininsel? „Ich bin Naturfreund, ich bin hier zu Hause und fühle mich daher der hiesigen Umwelt schon lange verbunden. Dazu kommen mein Forschungs- und Erkundungsdrang, also Neugier, und auch der Spaß an der systematischen Beschäftigung hinzu. Da hat sich aus meiner Sicht die Rheininsel als weites Betätigungsfeld geradezu angeboten.“

Forstwirtschaft auf der Rheininsel Ketsch: Bodenverdichtung und zerstörtes Myzel

Nach wenigen 100 Metern zeigt sich bereits ein Beispiel dafür, wie der Wald auf der Rheininsel leidet. Eberhardt deutet auf die braunen Fahrspuren in den Rückegassen, auf denen vor Kurzem schwere Forstmaschinen im Einsatz waren. Hier wurden Bäume gefällt und die Stämme aus dem Wald gezogen. Mit Blick auf die Stapel von Baumstämmen, die links und rechts des Weges lagern, meint Eberhardt: „Es ist der Forst, der den Wald kaputtmacht, nicht der Klimawandel. Durch die schweren Fahrzeuge wird der Boden verdichtet, das Myzel, eine Art Wurzelsystem der Pilze, wird zerstört und die Wasserdurchlässigkeit stark vermindert.“

So könne das Wasser nicht mehr bis in untere Erdschichten vordringen, wo es aber dringend gebraucht wird. Und was laut Eberhardt noch hinzukommt: „Jede Öffnung des Kronendaches, die durch die Entnahme von Bäumen entsteht, ist ein Schaden, denn durch die Lücken verdunstet die Feuchtigkeit viel schneller und die Sommerhitze kann den Boden und die Bäume viel heftiger angreifen. Bei der regelmäßigen Auslichtung zu eng stehender Jungbäume, der sogenannten Durchforstung, und bei der Holz-ernte wird das Unterholz reduziert und Totholz entfernt, sodass die Rehe leichter an die Jungbäume kommen, die sie kahl fressen und somit zum Absterben bringen.“

Mehr Naturverjüngung für den Wald auf der Rheininsel Ketsch gefordert

Außerdem pflanze der Forst Zuchtbäume nach, die bezüglich ihrer Widerstandsfähigkeit die schlechtere Wahl gegenüber natürlich nachwachsenden Bäumen sei, so Eberhardt. „Baumschuldenken“ eigne sich nicht für den Wald. Auch ließe man bei der herkömmlichen Waldbewirtschaftung Bäume nur 60 bis 80 Jahre alt werden. Ältere Bäume gebe es nicht im Planungshorizont des Forstes, obwohl ältere Bäume mit dem sich ändernden Klima wesentlich besser zurechtkämen als jüngere: „Der Wald muss älter werden und es muss noch viel mehr auf Naturverjüngung gesetzt werden“, fordert Eberhardt daher. Sein Kompromissvorschlag wäre, 50 Prozent der Waldflächen auf der Rheininsel zum Bannwald zu erklären, in dem nichts gefällt werden darf, und 50 Prozent ökologisch zu bewirtschaften, etwa nach dem „Lübecker Modell“, das nur die Entnahme von Einzelbäumen vorsieht.

Auf der Ketscher Rheininsel lassen sich entlang des Altrheins Richtung Brühl einige Storchennester finden.
Auf der Ketscher Rheininsel lassen sich entlang des Altrheins Richtung Brühl einige Storchennester finden. © SIMIANER

Das Ziel des „Lübecker Modells“, das seit Mitte der 1990er Jahre in den Wäldern der Städte Göttingen, Lübeck und Uelzen auf mehreren Tausend Hektar Wald angewendet wird, besteht im Wesentlichen darin, die Waldwirtschaft so umzubauen, dass mit einem Minimum an Arbeitskraft, Energie und Kapital ein möglichst gutes ökonomisches, ökologisches und soziales Betriebsergebnis erzielt wird. Dabei wird auch gemessen, wie naturnah die forstwirtschaftliche Nutzung ist. Zudem zeigen bei dieser Methode drei Indikatoren an, wie zukunftsfähig der Wald sein wird: der Totholzanteil, der Anteil der starken alten Bäume und das Ausmaß der Wertholzerzeugung.

Dass der Klimawandel ei großes Problem für den Wald darstellt, wissen die Forstleute von Forst-BW. Sie seien sich einig, so Eberhardt, dass in Zukunft immer mehr Bäume durch sogenannte „zufällige Nutzung“ als Brennholz anfallen, weil sie durch Hitze, Trockenheit, Stürme oder Schädlinge absterben – zumindest, wenn es nicht gelinge, die Erderhitzung zu bremsen. Das sei fatal in Kombination mit der ungenügenden Naturverjüngung: „Denn woher soll das Holz in 30 Jahren herkommen“, fragt Eberhardt nach.

Dass Totholz „Biotopholz“ ist und damit ganz und gar nicht wertlos, wird im zweiten, kürzeren Teil des Spazierganges deutlich, der am Altrhein entlang in Richtung Brühl bis zum Klärwerk führt. An die zehn Storchenpaare nisten hoch oben auf den Spitzen abgebrochener toter Papeln und ihr Klappern dringt von allen Seiten in die Ohren. Auch Spechte und Fledermäuse bevölkern neben zahlreichen Insektenarten tote und absterbende Bäume: „Totholz erfüllt also einen Zweck für die Natur und sollte deshalb im Wald verbleiben“, erklärt Nikolaus Eberhardt.

Weggeworfener Plastikmüll Gefahr für Tierwelt auf Rheininsel

Zu einem gesunden Wald gehört auch eine gesunde Tierwelt. Doch die ist immer wieder auch von Müll bedroht. Unschön ist daher der Blick vom Weg nach unten auf den Altrhein hinab, denn die Böschung ist stellenweise übersäht mit angeschwemmtem und dorthin geworfenem Plastikmüll. Ganz besonders für die Störche gefährlich sind die Plastikfetzen, die als Futter verwechselt zum Tod der Tiere führen können, weil sie deren Magen verstopfen. Und als Nistmaterial verwendet blockiert der Plastikmüll den Wasserabfluss im Nest, sodass die Jungvögel in der kalten Brühe erfrieren.

Am Klärwerk angekommen endet die kleine Wanderung. Nikolaus Eberhardt wird aber bald wieder aufbrechen in das Ökosystem Rheininsel. Er wünscht sich sehr, dass auch andere erkennen, wie wertvoll es ist. Dazu könne man in dem im Moment ungenutzten Forsthaus ein Informations- und Naturschutzzentrum einrichten, schlägt er vor. Und zum Schluss fasst der engagierte Naturschützer seine Ansichten zusammen: „In Zukunft muss die ökologische Gesamtleistung des Waldes höher bewertet werden als dessen wirtschaftlicher Nutzen.“

Waldsterben und Klimawandel: Forstexperten fordern ganzheitliche Maßnahmen

Experten von Forst-BW äußern sich besorgt über den verheerenden Zustand der Wälder in der Region. Klimawandel und herkömmliche Waldwirtschaft werden als Hauptursachen für das Waldsterben genannt. Maßnahmen zur Förderung der Selbstheilungskräfte des Waldes sind dringend erforderlich.

VERÖFFENTLICHT 24.5.2023 KOMMENTAR VON ROLF SIMIANER

In den vergangenen Wochen äußerten sich die Fachleute von Forst-BW um den Leiter des Forstbezirks Hardtwald, Bernd Schneble, zum verheerenden Zustand der Wälder in der Region (diese Zeitung berichtete). Anlass dafür war die jährliche Waldzustandserhebung des Bundeslandwirtschaftsministeriums für 2022. Hauptursachen für das Absterben vieler Waldflächen seien, so Schneble und Kollegen, die Folgen der Erderhitzung. Nur eine schnelle Reduzierung des CO2-Ausstoßes könne den geschwächten Fichten, Kiefern, Buchen und Eichen noch helfen. Außerdem setze man auf Naturverjüngung auf dafür geeigneten Flächen und führe Versuche mit an die Hitze und Trockenheit besser angepassten Baumarten sowie mit Bewässerungsanlagen durch. Das scheint auf den ersten Blick durchaus lobenswert.

Doch kein Wort zu den Schäden, die die herkömmliche Waldwirtschaft während der letzten Jahrzehnte verursacht hat. Die dicht gepflanzten Nadelholz-Monokulturen zur Erzeugung von gerade wachsendem Bauholz erweisen sich immer mehr als äußerst schädlingsanfällig und dem Stress durch die zunehmende Hitze und Trockenheit nicht gewachsen. Schwere Forstmaschinen verdichten durch ihre Vibration die Waldböden entlang der Rückegassen. Das führt dort zu einer geringeren Wasserdurchlässigkeit in tiefere Bodenschichten. Und nur selten findet sich auch auf maßvoll bewirtschafteten Waldflächen eine dichte bemooste Mulchschicht aus Totholz, die das kühlende Wasser im Oberboden speichert. Insgesamt ist eine Wirtschaftsweise gescheitert, die den Wald nicht als hochkomplexes, sensibles Ökosystem betrachtet, sondern als Anbaufläche von Holz, die möglichst schnell möglichst hohe Gewinne abwerfen soll. Ursache des rasanten Waldsterbens ist daher der Klimawandel im Zusammenwirken mit einer schädlichen Produktionsweise.

So reicht es nicht, wie die Fachleute von Forst-BW naiv auf die Einsicht der Politik und das rechtzeitige Eintreten der Energiewende zu hoffen. In Zukunft müssen Förster noch viel mehr als bisher die Selbstheilungskräfte des Waldes und dessen Widerstandsfähigkeit gegen immer höhere Temperaturen und immer trockenere Sommer fördern. Für die Ketscher Rheininsel könnte das bedeuten: Schritt für Schritt große Teile des Naturschutzgebietes aus der forstlichen Nutzung zu nehmen und zum Bannwald zu erklären. Den Verkauf von Brennholz einzustellen, denn die dadurch im Wald verbleibenden Bäume sollen weiterhin für Schatten, Kühle und Totholz sorgen – nur dort, wo Jungpflanzen das lebensnotwendige Licht fehlt, dürfen in Zukunft noch Bäume entnommen werden. Und schließlich den Aufwuchs von dichtem Unterholz zu fördern, das gemeinsam mit sperrigem Totholz den Rehen den Zugang zu Jungbäumen verstellt. Diese Maßnahmen sind essentiell, damit die Naturverjüngung des Auwaldes auf der Rheininsel eine Chance hat.

Über den Autor

  • Rolf Simianer (63) ist Gärtnermeister und zertifizierter Baumkontrolleur. Er ist seit 32 Jahren selbstständig mit einem Gartenbau-Betrieb und besonders im Schwetzinger Schlossgarten tätig.
  • Nach seiner Karriere als Unternehmer möchte er journalistisch arbeiten – „am liebsten für die Schwetzinger Zeitung“, wie er selbst sagt. Er absolviert einen Lehrgang im Journalismus bei der „Hamburger Schule des Schreibens“.